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Johannes Braun: „Der Industriestandort Deutschland wackelt“

Johannes Braun, Geschäftsführer der Schmiedag GmbH, zeigt, wie hoch 2021 das Wasser auf dem Firmengelände stand.

Seit dem 1. Juli 2024 ist Johannes Braun offiziell neuer Geschäftsführer der Schmiedag GmbH in Hagen. Im Gespräch erläutert er die aktuellen Herausforderungen einer deutschen Gesenkschmiede. „Unser Industriestandort wackelt gerade“, sagt er. Internationale Wettbewerber rüsteten sich, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Trotzdem bleibt er Optimist. „Im Hinblick auf wichtige Megathemen sind wir gut aufgestellt“, so Braun. Er produziert sogar Bauteile, die in KI-Rechenzentren gebraucht werden.

Herr Braun, welche Herausforderungen haben Sie als neuer Geschäftsführer vorgefunden?

Auf jeden Fall eine schwierige Konjunkturphase. Der Maschinen- und Anlagenbau ist extrem eingebrochen. Die Automobilindustrie schwächelt. Hohe Energiekosten, Umweltauflagen, Bürokratiebelastung – momentan ist es nicht einfach, in Deutschland international konkurrenzfähig zu sein.

Jede EU-Norm wollen wir hierzulande so aufwändig wie möglich umsetzen. Mancher Gedanke dahinter mag ja auch ganz vernünftig sein. Die Umsetzung ist aber oft von Menschen gemacht, die von unserer Industrie scheinbar nicht genug verstehen.

Ein Beispiel für falsches politisches Handeln ist die Erhöhung der Netzentgelte kurz vor Weihnachten, Folge einer urplötzlich gestrichenen Förderung. Wir haben das kurzfristig und unvorbereitet erfahren. So etwas kann man doch nicht ohne Ankündigung bei den betroffenen Unternehmen abladen! Zumal so etwas erst einmal finanziell aufgefangen werden muss.

Wir als Industrie senden seit Monaten klare Botschaften. Wir sehen aber keine Veränderung der Wirtschaftspolitik im Land. Der Industriestandort Deutschland wackelt. Auf Messen beobachten wir verstärkt, dass internationale Wettbewerber die Messer wetzen und die Gunst der Stunde nutzen wollen. Wir verlieren Wertschöpfung.

Ist auch der aktuelle Arbeitskräftemangel ein Problem für Sie?

Ja. Bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter spielt es uns natürlich nicht gerade in die Hände, wenn im Fernsehen die Stahlbranche als die wirtschaftliche Welt von gestern dargestellt wird. Wir halten mit einer eigenen Mitarbeiterkampagne dagegen, die Mut und Tatkraft für die Transformation in den Mittelpunkt stellt.

Unsere Branche sowie die Metall- und Elektro-Industrie sind seit jeher ein Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Hier wird vergleichsweise gut bezahlt, und wir achten auf unsere Mitarbeiter. Bei der Schmiedag herrscht ein sehr gutes Arbeitsklima. Das sind Dinge, die man nicht aufschreiben kann, man muss sie erleben. Wenn Freunde mich manchmal fragen, warum ich in dieser Industrie arbeite, dann antworte ich: Weil es total cool ist!

Grüner Stahl ist für die Schmiedag gerade ein wichtiges Thema. Warum?

Nachhaltigkeit ist schon lange ein Thema im Unternehmen. Bei der Flut im Jahr 2021 waren wir von den Folgen des Klimawandels ja auch selbst betroffen. Wir glauben an unsere Verantwortung. Vielen Stahlwerken sind wir längst voraus. Bis 2039 streben wir als Gruppe die vollständige Klimaneutralität an. Grünstrom, biogene Kohle und teilweise der Einsatz von Wasserstoff sind dazu notwendig.

Im Supermarkt sind die Kunden bereit, für nachhaltige Holzzahnbürsten einen höheren Preis zu bezahlen. Ich bin überzeugt, dass das auch in unserer Branche funktionieren kann.

Ihr Unternehmen hat jüngst seinen 200. Geburtstag gefeiert. Was bedeutet Ihnen das?

Es ist wirklich schön, dass eine so alte Tradition weiterlebt. Ich bin stolz, in dieser Branche zu arbeiten, zusammen mit Menschen, die das Herz auf dem rechten Fleck haben.

In den Neunzigerjahren lief es vorübergehend wirtschaftlich nicht gut. Dann hat uns die GMH-Gruppe gekauft. Die Inhaber-Familie hat die Belegschaft stets gut behandelt. Nach der Flut 2021 hat sie sehr viel Mut gezeigt und hier für zirka 50 Millionen Euro alles wieder aufgebaut. Das wird sicher ein Meilenstein in der langen Unternehmensgeschichte bleiben.

Wo steht die Schmiedag heute?

Wir sind bei gesellschaftlichen Megathemen gut aufgestellt. Kaum jemand weiß beispielsweise, dass jedes Rechenzentrum für moderne IT- und KI-Anwendungen viele Notstromaggregate braucht – in jedem der Aggregate sind bis zu 20 Pleuel von uns verbaut. Wir produzieren Radbremsscheiben für einen umweltschonenden Bahnverkehr und auch wichtige Teile für die Nahrungsmittelindustrie. Bei all dem kommt es auf maximale Qualität an.

Es ist unverzichtbar, dass die Mitarbeiter die Vorgaben zur Sicherstellung dieser Qualität verstehen. Auch sprachlich. Werden wir 2040 noch ein deutschsprachiges Unternehmen sein? Angesichts einer immer internationaleren Belegschaft bewegt mich dieses Thema sehr.

Wenn Sie sich hier und heute etwas von der Bundespolitik wünschen dürften, was wäre das?

An erster Stelle ein international konkurrenzfähiger Industriestrompreis. Dann mehr Tatkraft beim Bürokratieabbau. Und mehr Augenmaß bei der Umsetzung von EU- und Umweltschutzvorgaben. Wir sind kein Start-up in Berlin. Neue Öfen kosten uns Millionen. Wir brauchen mehr Verständnis dafür, was der Industrie zugemutet werden kann und was nicht.

Letztlich bin ich ein sehr optimistischer Mensch, daher glaube ich daran, dass wir die Kurve kriegen und Deutschland auch morgen eine erfolgreiche Wirtschaft haben wird. Für eine positive Zukunft werden wir jedenfalls alles tun. Gesamtgesellschaftlich muss aber auch klar sein: Mit einer 20-Stunden-Woche im Homeoffice auf Mallorca wird das nicht gelingen.